Einhundert Jahre evangelischer Kirchenchor Wächtersbach

Ein Beitrag aus den "Sammlungen zur Geschichte von Wächtersbach" des Heimat- und Geschichtsvereins Wächtersbach e.V. von Dr. Jürgen Ackermann

Im Jahre 1893 finden sich 49 sangesfreudige Mitglieder der evangelischen Kirchengemeinde zusammen und gründen am 3. Februar den „Evangelischen Kirchengesangverein Wächtersbach". Sie wählen als ihre Vorsitzenden die beiden Pfarrer Ernst Wiederhold und Hermann Römer und bestimmen Lehrer Johann Peter Schmidt zu ihrem Dirigenten.

Genehmigung der Königlich Preußischen Regierung in Cassel zur Benutzung des Schulzimmers der Oberklasse in der Stadtschule zu Wächtersbach als Übungsraum des evangelischen Kirchenchores aus 1896Zu den Übungsstunden trifft man sich zuerst im Wohnzimmer von Pfarrer Römer, der sein Piano zur Verfügung stellt. Doch als er zwei Jahre später nach Meerholz übersiedelt, müssen sich die Sängerinnen und Sänger nach einem neuen Lokal umschauen. Lehrer Schmidt lässt sie in seinem Klassenraum in der Stadtschule ein, den der Oberklasse. Aus den eigenen Reihen kommen 150 Mark für ein Klavier zusammen. Das so freudig Begonnene kann fortgesetzt werden.

Im Februar 1898 feiert der junge Verein sein fünfjähriges Stiftungsfest mit einer Abendunterhaltung und richtet im gleichen Jahr das Gustav-Adolf-Fest in der hiesigen Kirche aus. 1899 nimmt der Chor an den Feierlichkeiten zum 200-jährigen Bestehen der Gemeinde Waldensberg teil und 1902 am Jahresfest des Vereins der evangelischen Kirchenchöre/Bezirk Cassel in Gelnhausen und wird Mitglied dieses Verbandes. Zusammen mit den Sängern des Vereins „Eintracht" veranstaltet Kantor Schmidt eine Aufführung zugunsten der „Abgebrannten zu Brotterode". Das Weihnachtskonzert im Jahre 1902 erbringt aus Eintrittsgeldern zu 10 Pfennigen und einer Kollekte 81 Mark 10 Pfennige. Es können davon u. a. Chorbücher zu 2 Mark beschafft und dem Kirchendiener Kolb 3 Mark, dem Bälgetreter Weisgerber 1 Mark, dem ehrenamtlich tätigen Dirigenten Schmidt ein Weihnachtsgeschenk von 30 Mark bewilligt und gegeben werden.

Im März 1904 bedankt sich die Fürstliche Rentkammer für die Beteiligung des Chores an der Beerdigung des Fürsten Ferdinand Maximilian. Der Bruderverein aus Birstein kommt hu einem Gegenbesuch nach Wächtersbach: Gefeiert wird auf dem fürstlichen Schießplatz „bei Getränken auf die Vereinskasse". Noch im gleichen Jahr führt der Chor zusammen mit dem Birsteiner Verein ein Festspiel in der Kirche von Unterreichenbach auf: Es stellt das Leben König Gustav Adolfs von Schweden in Chor- und Sologesängen, Deklamationen und geschichtlichen Vorträgen dar, „volkstümlich verfaßt für die evangelische Christenheit" von Wilhelm Knöll.

Eine andere Facette des Vereinslebens sind die geselligen Ausflüge: nach Birstein, Salmünster, zur Ronneburg „per Leiterwagen", zur Wartburg. Seit 1911 führt der Kassierer eine spezielle Reisekasse.

Für heute erstaunlich ist es, wenn man in den alten Protokollen davon liest, dass gemäß den Statuten neue Mitglieder erst nach erfolgter geheimer Abstimmung mit Mehrheit aufgenommen werden und einigen Mitgliedern wegen ihres „sittlichen Betragens", mit dem sie den Ruf des Kirchenchors „nur schädigen", der Austritt aus dem Verein nahegelegt wird. 1907 schließt der Vorstand einen Sänger aus dem Verein aus, weil er eine Katholikin heiratet. Um den Chor zu verjüngen, wird das Eintrittsalter für „Herren" auf 20 Jahre und für „Damen" auf 18 Jahre gesenkt. ­­– Dagegen nur allzu bekannt erscheinen bewegte Klagen über „unregelmäßigen Besuch der Gesangstunden", „Unpünktlichkeit", „störende laute Unterhaltung" während der Proben, dass „besonders der Sopran oft schwach" ist, die in der alljährlichen Generalversammlung im ‚Ysenburger Hof' vorgebracht werden. Es versöhnt, dass die Vereinskasse die Kosten des im Verlauf der Generalversammlung „getrunken werdenden Bieres" trägt.

1912 kommt es zu unliebsamen Auseinandersetzungen, die zu einer monatelangen Unterbrechung der musikalischen Arbeit führen. Es spricht sich herum, dass Kantor Schmidt außer seinem jährlichen Geschenk von 30 Mark von seiten des Chores weitere 30 Mark aus der Kirchenkasse erhält. Das erscheint der Mehrheit der Mitglieder mit seiner ehrenamtlichen Aufgabe nicht vereinbar. Als er weiterhin auf Bezahlung in gleicher Höhe besteht, muss er ausscheiden. Sein Nachfolger wird Lehrer Ludwig Friedrich Schröder aus Hesseldorf. Die Übungsstunden finden jetzt in dem kleineren Klassenzimmer der Rektorschule in der heutigen Friedrich-Wilhelm-Straße statt.

Während des Ersten Weltkriegs ruh die Chorarbeit. Erst 1921 lebt sie, angeregt von Pfarrer Adam Gotthelf Wörner, wieder auf. Das Amt des Dirigenten übernimmt Hauptlehrer Friedrich Einschütz. Übungslokal wird wieder die Stadtschule. Zu den Proben erscheinen durchschnittlich 20 bis 25 weibliche und 4 bis 8 männliche Mitglieder. „Aus dieser Zusammenstellung ergibt sich, dass die Damen mehr Interesse zum Gesang zum Ausdruck bringen als die Herren." Einschütz gründet denn auch zusätzlich einen Frauenchor.

Anfang 1923 macht sich die Inflation immer stärker bemerkbar. Max Schütze in der Bachstraße verkauft dem Chor zur Beleuchtung des Schulsaales ½ Liter Petroleum für 1.500 Mark und Gärtner Tarlatt quittiert den Erhalt von 12.000 Mark für einen Blumenkorb. Im Februar wird der Monatsbeitrag von 1 Mark auf 20 Mark erhöht. Mit Erstaunen stellt der Kassenführer fest, die Rechnung vom „Gemütlichen Abend" für Kaffee beläuft sich auf 13.000 Mark. Da die Beschaffung von Noten zu kostspielig wird, schreibt Fräulein Krämer (verheiratete Opitz) in ungeheurer Fleißarbeit einzelne Blätter mit der Hand mehrfach ab. Der nach Büdingen geplante Ausflug kommt nicht zustande. Das Chorleben erlahmt immer mehr. Dazu kommt, dass Friedrich Einschütz 1924 in Pension geht.

Pfarrer Heinrich Knöll sorgt 1927 wieder für den gehörigen Schwung. Reichsbahnobersekretär Fritz Schirmer als Dirigent führt die Sängergemeinschaft zu guten Erfolgen. Geübt wird in der Kleinkinderschule. Schirmer lässt sich neben der Pflege der Choralgesänge auch die des „edlen Volksliedes" angelegen sein, die „von den minderwertigen Schlagern erlöst".

Pfarrer Knöll organisiert 1929 eine Zweitagesfahrt nach Dexheim, Nierstein, Oppenheim und Mainz, auf der auch kräftig Wein getrunken wird. Jedem Teilnehmer entstehen ganze 4 Mark Kosten. Dem Pfarrer in Dexheim bereitet es allerdings einige Schwierigkeiten, die „Vornehmen" unter den Wächtersbacher Chormitgliedern in seinem Ort gebührend unterzubringen. 1932 sind mehrere auswärtige Chöre zu ihrem Kreiskirchenchortreffen in der Wächtersbacher Gemeinde zu Gast.

In nationalsozialistischer Zeit wirken von 1933 bis 1936 Lehrer Ferdinand Stein aus Hesseldorf und danach Lehrer Karl Kling als Dirigenten. Der Chor muss sich jetzt ganz auf seine gottesdienstlichen Aufgaben beschränken. Kreispfarrer Karl Ackermann sucht die Möglichkeit, darüber hinaus nach außen zu wirken. – „Es müßte nur ein Anlaß gefunden werden". Er organisiert für den November 1937 eine Veranstaltung in der Stadthalle zum „40jährigen Bestehen" des Kirchenchores, der im Februar 1938 ein geselliger Familienabend in der Gastwirtschaft Huck folgt. Im gleichen Jahr verkauft der Vorstand das choreigene Klavier in der Stadtschule an die Hitlerjugend – die Chorproben finden nur noch in kircheneigenen Räumen statt. Karl Kling ist wie Johann Peter Schmidt gleichzeitig auch Organist.

Nach dem Zweiten Weltkrieg blüht der Kirchenchor wieder auf und tritt sehr bald mit Konzerten an die Öffentlichkeit. So 1948 und 1949 unter seinem Dirigenten Musikdirektor Friedrich Gerlach, auch mit Instrumentalstücken gespielt von Lehrer Karl Hein und Dr. Georg Jahn, die das Musikleben der Stadt auch in den folgenden Jahren sehr bereichern.

Der junge Kantor Günter Zutz (1950–1954) gründet zusätzlich einen ev. Kinderchor und einen ev. Jugendsingkreis und ist mit großem Fleiß und Geschick tätig. In seine Zeit fällt die Einführung des neuen Gesangbuches. Der Reinerlös aus den Konzerten wird u.a. zur Anschaffung der neuen Glocken als Ersatz für die im Krieg abgelieferten und zum Bau einer größeren Orgel verwandt, die 1954 anlässlich der 600-Jahrfeier des Wächtersbacher Gotteshauses eingeweiht wird.

Der Kirchenchor bei einem Konzert auf der Orgelempore der evangelischen Kirche unter seinem Dirigenten Günter ZutzChorleiter 1893 bis 1993

1893 – 1912        Lehrer Johann Peter Schmidt

1912 – 1914        Lehrer Ludwig Friedrich Schröder

1921 – 1924        Lehrer Friedrich Einschütz

1927 – 1932        Reichsbahnobersekretär Fritz Schirmer

1933 – 1936        Lehrer Ferdinand Stein

1936 – 1947        Lehrer Karl Kling

1947 – 1949        Musikdirektor Friedrich Gerlach

1950 – 1954        Kantor Günter Zutz

1955 – 1957        Lehrer Helmut Sartor

1958 – 1959        Diakon Adolf Kurz

1959 – 1962        Gewerbeoberlehrer Werner Schulz

1963 – 1964        Kantor Gottfried Breidenbach

1965 – 1968        Student und Studienreferendar Manfred Hein

1968 – 1985        Kantorin Anne-Marie Lindemann

1986 – 1989        Kantor Hans-Werner Jürgensen

1989 – 1990        Kantor Arno Schwertmann

1990 – 1992        Studentin der Kirchenmusik Regina Bieske

1992 – 1996        Kantor Ralf Klotz

Ältere Chormitglieder erinnern sich noch gerne an die Chorleiter Sartor, Kurz, Schulz, Breidenbach, Hein, die zwischen 1955 und 1968 in ihrer Arbeit jeweils besondere Akzente setzen. Frau Eva Gekeler betreut einige Jahre den Jugendchor und hilft in vielerlei Situationen mit. 1968 gelingt es Landeskirchenrat Ackermann, eine feste halbe Stelle für den Organisten und Chorleiter zu schaffen. Frau Anne-Marie Lindemann aus Gelnhausen bleibt denn auch, allseits geschätzt, bis zu ihrem Tode 1985 ihren Aufgaben in Wächtersbach treu. Ganz frisch in Erinnerung ist unser Dienst an der Gemeinde zusammen mit den Chorleitern Hans-Werner Jürgensen, Arno Schwertmann, Regina Bieske und heute Ralf Klotz, wobei es in den letzten Jahren, ähnlich wie oft vorher, unser ganz besonderes Glück war und ist, mit Gerhard Pauli und heute Michael Fenner und Christoph Schilling musikliebende und musikbegabte Pfarrer in Wächtersbach zu haben.

Mitglieder des ev. Kirchenchores im Festzug anlässlich der 750-Jahrfeier Wächtersbach  24. August 1986

 

Evangelischer Kirchenchor im Bürgerhaus Wächtersbach, das 1977 als 1000. Gemeinschaftshaus in Hessen eingeweiht wurde. (Kantorin Anne-Marie Lindemann)

 

Quellen:

  • Archiv: Evangelisches Pfarramt Wächtersbach
  • Informationen von Gertrud Hein, Mechthild Wildner

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