Ein Beitrag aus den "Sammlungen zur Geschichte von Wächtersbach" des Heimat- und Geschichtsvereins Wächtersbach e.V. von Dr. Jürgen Ackermann
Geschichte des Kirchspiels Wächtersbach
Im Jahre 1354 errichteten Konrad von Trimberg und seine Frau Elisabeth eine Kapelle in Wäch-tersbach, die gemäß einem Indulgenzbrief des Papstes Innocenz VI. der heiligen Maria geweiht wurde. Die Familie von Trimberg – der gleichnamige Sohn Conradus junior de Trimberg bestätigte die Schenkung – besaß zu dieser Zeit die Hälfte von Burg und Dorf Wächtersbach.
Sie statteten die neuerrichtete capellam in Wechtirspach mit zahlreichen Einkünften aus: dem Zehnten in nova nostra villa dictus Wilers (in unserem neuen Dorf genannt Weilers), dem vierten Teil des Zehnten in Wächtersbach, 12 Morgen Acker bei Wächtersbach genannt Springes Acker, Hebpelen Rode, am Hener Weg oder Ubenawer Weg, zusätzlich Wiesen an der Kintzge gelegen, am Gelczculichters Rod, in der Auwe, die Culmans Royd genannt wird – dem heute noch bestehenden Pfarrgut –, und einem Weinberg in Nusesse (Neuses) und einem in Bernbach, Äckern in Sonneborn (Somborn), einem Haus in der Smydegasse in Geylnhusen bei der Pforte (in der Schmidtgasse in Gelnhausen), die zuvor dem Pleban (Leutepriester) von Somborn zustanden. Die Besetzung der Kaplanstelle an der neuen Kapelle in Wächtersbach behielt sich das fromme Adelsge-schlecht der Trimberger vor. Und bis heute steht das Patronatsrecht an dieser Kirche den Fürsten zu Ysenburg und Büdingen zu, die in der Erbfolge Nachfolger der Trimberger sind. Auf Antrag des Herren Dieter von Ysenburg aus dem neuen Burgherrengeschlecht, das Wächtersbach 1404 zur Stadt erhob, und der Einwohner von Wächtersbach wurde am 28.4.1435 die Kapelle von ihrer Mutterkirche in Aufenau getrennt. Man begründete dies mit den im Kinzigtal häufigen Überschwemmungen. Der Wunsch nach Selbständigkeit leitete sich aber wohl mehr aus dem Herrschaftsanspruch der Ysenburger und dem Freiheitsgeist der jungen, aufstrebenden Stadt her. Im Jahre 1464 bestätigte Erzbischof Adolf von Mainz endgültig die beste-hende Trennung von der Pfarrei Aufenau. Nach Einführung der Reformation wurde Wächtersbach zunächst lutherisch, nach 1610 reformiert und 1818 trat die Kirchengemeinde der Hanauer Union bei, einem Zusammenschluß der beiden Richtungen. Mit der Gründung der kirchlichen Lateinschule (1703) erhielt das hiesige Kirchspiel eine zweite Pfarrstelle. Der zweite Pfarrer fungierte gleichzeitig als Rektor der Schule.
Die Dörfer Wittgenborn (es kommt nach 1857 in den Pfarrbezirk Spielberg), Hesseldorf und Weilers gehörten seit ihrer Gründung zur Kirche in Wächtersbach. Die Kirchengemeinde Wächtersbach und ihre beiden Filialen haben auch heute, obgleich die kirchliche Rektorschule 1939 ihre Pforten schließen mußte, zwei Pfarrer, die die nach dem Krieg stark gewachsene Zahl der evangelischen Gemeindeglieder betreuen.
Baugeschichte und Baubeschreibung
Teile der ursprünglichen Marienkapelle aus dem Jahre 1354, eines einschiffigen flachgedeckten Baues, sind erhalten: Einmal das heutige westliche Kirchenschiff mit seinem Eingangsportal und ein darüber gelegenes Fenster, das heute als Zugang zum Kirchturm dient, und je ein Spitzbogenfenster, mit zierlichen Nasen besetzt, nach den Seiten, zum anderen die drei Wände des ursprünglich fünfseitigen Chores im Osten, dessen zweiteilige Fenster jedoch bis auf die Seitenwände zerstört sind.
Die Inschrift über dem südlichen Durchgang des Kirchturms > 1514 < gibt uns das Datum für dessen Anbau an. Er ruht auf dem alten Kirchengiebel. Sein Erdgeschoß bildet eine Vorhalle mit zwei rundbogigen Eingängen. Nach Westen ist ein zweiteiliges Fenster mit gotischem Maßwerk eingesetzt. Das hohlprofilierte Kreuzgewölbe sitzt auf polygonen Konsolen und endet in einem runden Schlußstein, den das Ysenburger Wappen ziert – zwei schwarze Balken im silbernen Feld.
Die Geschoßdecken des Turmes sind aus Holz; lediglich die Glockenstube wird von einem Tonnengewölbe bedeckt, das ursprünglich das Regenwasser auffing und über die noch vorhandenen Wasserspeier abgab. Der obere Teil des Kirchturmes wird von einem vorragenden Wehrgang mit Zinnen und vier fünfseitigen Erkern mit Schießscharten gekrönt. Der im Jahre 1702 auf der Zinnenbekränzung errichtete Turmhelm ersetzt wohl einen älteren kleineren, der nur den Mittelteil des Turmes abdeckte und den Zinnengang freiließ. In die alte Wetterfahne auf dem Turm ist die Jahreszahl 1546 einpunktiert.
Im Jahre 1664 gestaltete man die Kirche im In-neren um. Aus dieser Zeit stammen die mit dem Zimmermannsbeil behauenen Säulen, die die untere Empore im heutigen westlichen Schiff tragen, Teile der Brüstung der ersten Emporen im nördlichen und südlichen Flügel und die Kanzel, die an den Ecken mit Pilastern geschmückt und mit Schnitzwerk reich verziert ist. Aus dieser Zeit stammt auch die älteste im Jahre 1661 gegossene Glocke. Die drei übrigen Glocken des heutigen Geläuts wurden nach dem Zweiten Weltkrieg neu beschafft.
Die Anbauten vom Jahre 1702 prägen entscheidend den heutigen Charakter der Kirche. Man legte die Wände des Chores (außer seiner Begrenzung nach Osten) und in Verlängerung noch ein weiteres Stück der Außenwände nieder und baute nach Süden und Norden zwei Flügel an, die nur im Untergeschoß und an den Seiten in Stein hochgemauert wurden und in den Giebeln Fachwerk tragen. Nach Osten wurde jeweils ein nebenchorartig wirkender Treppenturm angefügt und der Chorabschluß ebenfalls mit einem Fachwerkgiebel geschmückt. So erhielt die Kirche durch ihre verwinkelten Anbauten und die Mischung der Baumaterialien Stein und Holz in ihrem Äußeren ihr heutiges reizvolles Aussehen.
Im Inneren gewann man in den beiden Flügeln zusätzlichen Raum im Erdgeschoß und in den jeweils zwei übereinanderliegenden Emporen, zu denen der Kirchenbesucher durch die erwähnten Treppenhäuser gelangt.
Diese Anbauten wurden notwendig, weil Wächtersbach 1685 Sitz einer eigenen gräflichen Linie der Ysenburger wurde, die eine repräsentativere Kirche wünschte. – Der Altarraum diente von diesem Zeitpunkt an dem Grafenhaus als Grablege; für uns nicht mehr sichtbar befinden sich dort 16 Grüfte. Die abdeckenden Grabplatten wurden bei der Renovierung von 1938 herausgenommen und stehen heute an eine Mauer im Schloßpark gelehnt. Am Ende des 18. Jahrhunderts war für die Toten aus dem Grafenhaus nicht mehr Platz genug in der Kirche. Seither nutzte die Familie Ysenburg-Wächtersbach ihre besondere Grablege auf dem Friedhof nebenan. Auf der obersten südlichen Empore war lange Zeit die kirchliche Lateinschule untergebracht, in der die Kinder der Hofbeamten und begabte Kinder aus der Stadt unterrichtet wurden. Gleichzeitig wohnte hier auch der zweite Pfarrer als Rektor der Schule. Die darunter gelegene Empore diente dem gräflichen später fürstlichen Hause Ysenburg als herrschaftlicher Stuhl. Die gegenüberliegende erste Empore nahm die Kirchenbesucher aus den Familien der Hofbeamten auf und war ebenso wie die Herrschaftsloge im Gegensatz zur übrigen Kirche beheizbar. Beide Emporen konnten zum Kirchen-schiff hin durch bewegliche Glasscheiben verschlossen werden, weshalb der Beamtenstuhl heute noch als „Glaskasten" bezeichnet wird. Die oberste nördliche Empore diente ursprünglich als Vorratsraum für den Rektor und heißt deshalb heute noch im Volksmund „Äppelgerüst". Auf der Galerie an der Ostwand über der Kanzel hatte die Landmiliz ihren Platz. Im Erdgeschoß waren zwischen Kanzel und Altar die Plätze für den Kirchenvorstand und die Schöffen und Bürgermeister der Stadt. Die übrigen Kirchgänger füllten die Bänke im Erdgeschoß. Vorn auf beiden Seiten saß die männliche Schuljugend, die unter Anleitung des Lehrers den Kirchengesang anführte. In dieser Plazierung des Kirchenvolkes spiegelte sich augenfällig die ständische Abstufung der damaligen Gesellschaft. Es läß sich daraus auch die enge Beziehung zwischen Kirche und Schule in damaliger Zeit ablesen.
Den vierungsartigen Altarraum überspannt eine Holzdecke, die in Nachahmung von Kreuzgewölben aus Stein eichene gekehlte Kreuzrippen tragen, die sich in einer gedrechselten Scheibe treffen, die einem Schlußstein ähnelt. Die gemalten bunten Glasfenster in der Ostwand – Jesus (in der Mitte), Petrus und Paulus – wurden bei einer Renovation im Jahre 1907 eingesetzt.
Die heutige Ausmalung im Inneren entstand im Jahre 1938 nach Entwürfen des bekannten Kirchenmalers Gottfried Hubel aus Frankfurt.
Im Jahre 1954, 600 Jahre nach Gründung der ursprünglichen Marienkapelle, erklang erstmals die jetzige Orgel (Firma Steinmeyer in Oettingen), die seither einige Veränderungen erfuhr.
Die reichen interessanten Holzarbeiten im Inneren und Äußeren der Kirche tragen zu dem anheimelnden Charakter unseres Gotteshauses bei.
Abbildungen
Lichtbildaufnahmen und Zeichnungen von Ludwig Bickell aus dem Jahre 1895.
Literatur
GUDENUS, Codex Diplomaticus 1768, Tom. V, S. 1022 ff.
LUDWIG BICKELL, Die Bau- und Kunstdenkmäler im Regierungsbezirk Cassel, Bd. 1 Kreis Gelnhausen, Marburg 1901.
MARTIN SCHÄFER, Als Wächtersbach Stadt und Kirch-spiel wurde, in: Heimat-Jahrbuch des Kreises Gelnhausen 1969, S. 58 ff.